Harnwegsinfektionen bei Kindern keine Gefahr für die Nieren

NEW YORK (Reuters Health) - Die meisten Kinder mit rezidivierenden Harnwegsinfekten haben kein erhöhtes Risiko, später im Leben eine chronische Nierenerkrankung zu entwickeln, wie eine neue Metaanalyse zeigt.

"Wenn der Nierenultraschall nach dem ersten Harnwegsinfekt keine strukturellen Anomalien zeigt, sollten sich die Eltern überhaupt keine Sorgen machen über das Risiko einer chronischen Nierenerkrankung", sagte Studienleiter Dr. Jarmo Salo von der Universität Oulu in Finnland.

Rezidivierende Harnwegsinfekte im Kleinkindalter sind als Risikofaktor für eine spätere chronische Nierenerkrankung angesehen worden, speziell in den Fällen mit vesikorenalem Reflux (VRR).

Doch die Vorstellung, dass wiederholte Harnwegsinfekte und VRR Risikofaktoren für eine chronische Nierenerkrankung darstellen, wird nicht von allen akzeptiert - ebenso wenig wie die Praxis, Kinder auf VRR zu testen, wenn sie einen Harnwegsinfekt haben.

Für die neue, am 10. Oktober in "Pediatrics" vorgestellte Studie haben die Autoren die Daten von zehn Studien mit insgesamt 1576 Patienten gepoolt. In den Studien wurde entweder bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung nach Harnwegsinfekten in der Kindheit gefahndet oder Kinder mit Harnwegsinfekten wurden verfolgt, um ihre Nierenfunktion zu dokumentieren.

Die Autoren sichteten außerdem die Krankenakten aller 366 Patienten, die im Laufe eines Jahres an ihrer Klinik wegen einer chronischen Nierenerkrankung behandelt worden waren.

Die zehn Studien erbrachten keine Hinweise dafür, dass Harnwegsinfekte in der Kindheit - selbst wenn sie mit VRR einhergingen - die Hauptursache für chronische Nierenerkrankungen waren, so die Wissenschaftler.

Patienten mit Nierenerkrankungen, die in der Kindheit tatsächlich wiederholt Harnwegsinfekte gehabt hatten, wiesen alle auch strukturelle Anomalien in den Nieren auf. Auch von den 366 Patienten, die an der Klinik der Autoren behandelt worden waren, hatten nur drei als Kinder rezidivierende Harnwegsinfekte gehabt, die zur Entstehung der Nierenerkrankung beigetragen haben könnten - und alle hatten im Ultraschall sichtbare strukturelle Anomalien in den Nieren.

Salo schrieb in einer E-Mail an Reuters Health, dass Ärzte in Finnland nicht länger "aktiv" nach einem VRR schauen, da es Evidenz dafür gebe, dass es sich um ein "normales Phänomen" handele und dass die Behandlung von VRR langfristig nicht vor Nierenschäden schütze.

"Wir empfehlen, keine (unnötige) Röntgenuntersuchung durchzuführen, wenn das Kind im Ultraschall strukturell normale Nieren aufweist", ergänzte Salo.

Doch ein an der Studie nicht beteiligter pädiatrischer Urologe warnte davor, sich pauschal gegen VRR-Tests auszusprechen. "Die gute Nachricht für Eltern ist, dass die Wahrscheinlichkeit einer späteren Nierenerkrankung bei ihrem Kind sehr niedrig ist", sagte Dr. Hiep T. Nguyen vom Children's Hospital Boston. Allerdings seien rezidivierende Harnwegsinfekte bei Kleinkindern (unter 5 Jahre) nicht das Gleiche wie bei älteren Kindern und Erwachsenen. Und einige dieser Kinder hätten ein erhöhtes Risiko für eine Nierenschädigung - insbesondere wenn ein schwerer VRR hinzukomme.

Außerdem gebe es Evidenz dafür, dass es Nierenschäden vorbeugen kann, wenn man schweren VRR erkennt, mit niedrig dosierten Antibiotika behandelt und in regelmäßigen Abständen kontrolliert, ob der Reflux zurückgegangen ist.

Nguyen sagte auch, dass ein Kleinkind mit einem Harnwegsinfekt "zumindest" einen Ultraschall haben sollte, um nach strukturellen Anomalien in den Nieren zu schauen. Dem stimmte Salo zu.

Uneinigkeit herrscht dagegen bei den Tests auf VRR. Im Grunde nähmen Pädiater zunehmend Abstand davon, bei Kindern mit Harnwegsinfekten zu einem Test auf VRR zu raten, sagte Nguyen.

Pädiater bekommen viele Kinder mit Harnwegsinfekten zu sehen, und die meisten davon werden niemals eine Nierenerkrankung entwickeln, sagte er. Doch Urologen sehen die Leute mit chronischer Nierenerkrankung, und sie neigen dazu zu sehen, wie wertvoll ein VRR-Test sein kann, damit Kinder mit Reflux behandelt werden können.

"Wir sehen das aus zwei verschiedenen Blickwinkeln", sagte Nguyen.

VRR hat eine starke genetische Komponente, und Wissenschaftler arbeiten an Gentests - bei denen das Kind nur "in einen Becher spucken" müsste, sagte Nguyen. Das könnte dabei helfen, die Kinder mit Harnwegsinfekten herauszufiltern, die Kandidaten für einen VRR-Test sind.

Einstweilen muss die Entscheidung für oder gegen einen VRR-Test von Fall zu Fall getroffen werden.

Dr. John Gearhart, Direktor der Pädiatrischen Urologie am Johns Hopkins Children's Center in Baltimore, sagte, diese aktuellen Ergebnisse "sollten Mütter und Väter beruhigen". Doch er stimmte zu, dass es Fälle gibt, bei denen ein Test auf VRR angebracht ist: zum Beispiel bei einer familiären Vorbelastung oder wenn ein kleines Kind häufiger als einmal einen Harnwegsinfekt mit Fieber hat.

Der Test auf VRR sei mit einer Strahlenbelastung verbunden, auch wenn die Dosis so niedrig wie möglich gehalten werde, sagte Gearhart in einem Interview. Deshalb sei es wichtig, ihn nur bei einer begrenzten Anzahl an Kindern durchzuführen.

Zudem können die niedrig dosierten Antibiotika, mit denen VRR bei den Kindern behandelt wird, Nebenwirkungen wie Bauchschmerzen, Durchfall oder Hefeinfektionen verursachen.

In Nordamerika läuft derzeit eine klinische Studie, in der untersucht wird, ob es Vernarbungen an den Nieren vorbeugt, wenn kleine Kinder mit leichtem bis mittelschwerem VRR mit Antibiotika behandelt werden.

Das sollte, so Gearhart, weitere Erkenntnisse dazu liefern, ob es hilfreich ist, alle Kinder mit VRR präventiv antibiotisch zu behandeln.

Quelle: Pediatrics, 10. Oktober 2011 (doi: 10.1542/peds.2010-3520)