Aktives Beobachten geeignete Option für einige Prostatakarzinome mittleren Risikos
NEW YORK (Reuters Health) - Wahrscheinlich könnten mehr Männer mit Prostatakrebs die Behandlung zugunsten eines aktiven Beobachtens aufschieben als bislang angenommen, wie eine Studie an Patienten einer US-Klinik zeigt.
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass unter 466 Prostatakrebspatienten, die sich für ein aktives Beobachten anstatt sofortige Behandlung entschieden hatten, diejenigen mit mittlerem Progressionsrisiko über vier Jahre ebenso gut fuhren wie Patienten mit Prostatakrebs mit niedrigem Risiko.
Die im Journal of Clinical Oncology vorgestellten Ergebnisse deuten darauf hin, dass aktives Beobachten auch für bestimmte Männer mit einer Erkrankung mittleren Risikos eine vernünftige Wahl sein könnte, auch wenn sie meist nur Männern mit Prostatakrebs mit niedrigem Risiko angeboten wird. Dieser Aspekt ist wichtig, da immer mehr Experten dafür plädieren, im Prostatakrebs-Management mehr auch das aktive Beobachten zu setzen.
Anders als andere Krebserkrankungen wachsen Prostatakarzinome meist nur langsam und schreiten in vielen Fällen nie so weit fort, dass sie lebensbedrohlich werden. Das kompliziert Therapieentscheidungen, da Operationen und andere Therapien für Prostatakrebs Risiken tragen - wie Inkontinenz und erektile Dysfunktion. Deshalb könnte die Behandlung bei manchen Männern mehr Schaden anrichten als sie nützt.
Doch seit es den PSA-Test gibt, wird der Krebs bei vielen Männern im Frühstadium diagnostiziert, wenn er ein geringes Progressionsrisiko hat. Laut dem US-amerikanischen National Cancer Institute fällt alleine in den USA etwa die Hälfte der 190.000 Männer, bei denen 2009 Prostatakrebs diagnostiziert wurde, in diese Gruppe mit niedrigem Risiko.
Der Anteil an Krebserkrankungen, die in die Kategorie "mit mittlerem Risiko" fallen, variiert abhängig von der genauen Definition eines "mittleren Risikos", aber eine gute Schätzung liege irgendwo zwischen 25 und 40 Prozent, so Dr. Matthew R. Cooperberg, Assistenzprofessor für Urologie an der University of California, San Francisco (UCSF), und federführender Autor der neuen Studie.
Im Moment können sich Männer mit Prostatakrebs mit niedrigem Risiko entscheiden, ob sie auf eine sofortige Behandlung verzichten und den Krebs erst einmal weiter beobachten lassen. In diesen Fällen wird die Therapie aufgeschoben und die Krankheit stattdessen mit regelmäßigen PSA-Tests, digitalen Rektaluntersuchungen und möglicherweise auch Prostatabiopsien überwacht.
Doch ob sich auch einige Männer mit Prostatakrebs mit mittlerem Risiko sicher für das aktive Beobachten entscheiden können, war bislang größtenteils unklar. Zudem werde ihnen das aktive Beobachten nur selten als Option angeboten, sagte Dr. Peter Carroll, Seniorautor der Studie und Leiter des Department of Urology an der UCSF gegenüber Reuters Health.
Im Allgemeinen werden Prostatatumore mit niedrigem, mittlerem und hohem Risiko durch Faktoren wie das Krankheitsstadium, die PSA-Konzentration im Blut und den Gleason-Score - ein Maßstab für die Aggressivität des Krebses - definiert.
Die Männer in der aktuellen Studie wurden alle an der UCSF behandelt und hatten sich für das aktive Beobachten entschieden: alle drei Monate wurden ein PSA-Test und eine Rektaluntersuchung durchgeführt, alle sechs bis zwölf Monate ein Ultraschall und alle ein bis zwei Jahre eine Biopsie. Von den Patienten hatten 376 eine Krebserkrankung mit niedrigem Risiko und 90 einen Tumor mit mittlerem Risiko.
Im Laufe von vier Jahren zeigte der Tumor bei 61 Prozent der Patienten mit mittlerem Risiko und bei 54 Prozent der Patienten mit niedrigem Risiko keinerlei Wachstum, obwohl keine Behandlung stattfand. Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen war nicht signifikant.
Der Anteil an Männern, die sich innerhalb des Studienzeitraums dafür entschieden, mit einer Behandlung zu beginnen, war ebenfalls in beiden Gruppen ähnlich - 30 Prozent in der Gruppe mit niedrigem Risiko, 35 Prozent in der Gruppe mit mittlerem Risiko.
Die häufigste Behandlung war die Operation. Bei keinem derjenigen, die operiert wurden, hatte sich der Krebs auf nahe gelegene Lymphknoten ausgebreitet. Außerdem war bei keinem innerhalb von drei Jahren nach dem Eingriff der PSA-Wert angestiegen, was auf ein Rezidiv hingedeutet hätte.
Die Studie hat ihre Beschränkungen - unter anderem, dass alle Patienten in einer Klinik behandelt wurden, so dass sich die Ergebnisse vielleicht nicht auf Patienten in anderen Einrichtungen übertragen lassen, so Carroll. Er betonte auch, dass das aktive Beobachten nur für sorgfältig ausgewählte Patienten mit mittlerem Risiko eine Option darstelle. "Diese Patienten bedürfen der sorgfältigen Untersuchung und eine Einschätzung kann nur auf Basis einer gut durchgeführten Biopsie und durch erfahrene Mediziner getroffen werden", erklärte Carroll.
Zu den besten Kandidaten für aktives Beobachten gehören laut Carroll und Cooperberg Männer mit begrenzter Lebenserwartung - wobei dafür nicht nur das Alter, sondern auch der Gesundheitszustand eine Rolle spielt. Im Allgemeinen leben Männer mit chronischen Erkrankungen wie Herzleiden möglicherweise einfach nicht lange genug, um einen Benefit aus der Prostatakrebstherapie zu ziehen - könnten aber Schaden erleiden.
Vorläufig lautet die Botschaft, dass Männer mit Prostatakrebs sich nicht in die Therapie stürzen, sondern sich alle Optionen, darunter auch das aktive Beobachten, bewusst machen sollten.
Carroll und Cooperberg merkten beide an, dass sie der Meinung seien, dass das PSA-Screening Leben gerettet habe, da es eine Diagnose des Prostatakrebses in einem Stadium erlaube, in dem er heilbar sei. Doch das habe seinen Preis gehabt - in Form der Überbehandlung. Die Nachteile des PSA-Screenings sind der Grund dafür, dass die American Cancer Society und andere medizinische Fachgesellschaften das Routine-Screening nicht empfehlen, sondern den Männern raten, mit ihrem Arzt über die Vor- und Nachteile der Untersuchung zu sprechen.
"Männer mit Hochrisiko-Erkrankungen profitieren ganz klar von einer frühen und aggressiven Behandlung", sagte Cooperberg, "während diejenigen mit niedrigem Risiko das oft nicht tun." Die vorliegende Studie deute darauf hin, das die optimale Risikoschwelle für den Beginn einer Behandlung verschwommener sein könnte als bislang angenommen.
Quelle: Journal of Clinical Oncology